2004 | Jahrestagungen

35. Jahrestagung in Düsseldorf

Feierliche Eröffnungsrede
Giulio Ingianni

 

Herzlich willkommen in Düsseldorf zur 35. Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgen und zur neunten Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen. Ein besonderes Willkommen, auch im Namen der Vorstände der VDPC und der VDÄPC gelten: Der Medizinischen Fakultät der Universität Düsseldorf, vertreten durch Herrn Professor Knoefel, Direktor der Chirurgischen Klinik, unseren hochgeschätzten Ehrenmitgliedern, den inländischen und den ausländischen Gästen. Herr Olbrisch und ich haben bewußt hier in Düsseldorf die wissenschaftlichen Programme der VDPC und der VDÄPC nicht getrennt, sondern während des gesamten Kongresses beisammengehalten. Die vier Säulen der plastischen Chirurgie werden bei dieser Jahrestagung gleichmäßig, gleichwertig und gleichberechtigt an jedem Tag vertreten sein. Die ästhetische Chirurgie soll dabei nicht ‘trendy’ und glamourös in Erscheinung treten, sondern wissenschaftlich fundiert und evidenzbasiert sein. Die vier Säulen der plastischen Chirurgie – die rekonstruktive, die ästhetische Chirurgie, die Handchirurgie und die Verbrennungsmedizin – verdienen gleiche Beachtung in der Lehre, in der Forschung, in der Weiterbildung und in der fachärztlichen Qualitätssicherung.

Die plastischen Chirurgen behaupteten sich durch bessere Kenntnisse, bessere Ergebnisse und durch eine bessere Qualität – nicht durch eine höhere Einschaltquote
Nun im Jahr 35 nach der Etablierung der Monospezialität Plastische Chirurgie, erst als Schwerpunkt, dann als Gebiet und jetzt als Facharzt im Gebiet Chirurgie, stehen wir gerade wegen der ästhetischen Chirurgie im Focus des öffentlichen Interesses und der Medien. Von uns wird Professionalität und die Übernahme einer Führungsrolle erwartet, die heute von der Öffentlichkeit auf dem weiten Feld der ästhetischen Medizin vermißt wird. Wenn wir um die Weiterentwicklung und die Zukunft des Faches besorgt sind, sollten wir zunächst einen Blick zurück zu den Wurzeln richten: Als die plastische Chirurgie in Deutschland aus einer inhomogenen Fachgesellschaft von regionalen, rekonstruktiven plastischen Chirurgen heraustrat, um eine eigenständige Fachgesellschaft, die VDPC zu gründen, stand nicht Glamour, sondern harte Arbeit im Vordergrund. Dadurch konnte unsere Fachgesellschaft bei der International Confederation for Plastic, Reconstructive and Aesthetic Surgery akkreditiert werden und vertritt weltweit seitdem die deutsche plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie.

Heute müssen die plastischen Chirurgen – wie früher – ihre Leistungsfähigkeit und ihre innovative Kraft beweisen
Die plastische Chirurgie hat sich in den nachfolgenden Jahrzehnten Respekt und Achtung verschafft, hat sich etabliert und konsolidiert, durch die Entwicklung von immer besseren Operationstechniken in der Lappenplastik, durch die Optimierung der Handchirurgie und der Therapie von Schwerverbrannten, durch die Replantationschirurgie, die freie Gewebetransplantation, die präfabrizierten Lappen, das Tissue Engineering sowie durch die Verfeinerung ästhetisch-chirurgischer Techniken. Gegenüber anderen auf diesem Feld Tätigen hatten sich die plastischen Chirurgen durch bessere Kenntnisse, bessere Ergebnisse und durch eine bessere Qualität – und nicht durch eine höhere Einschaltquote in den Medien – behaupten können.

Zu viele junge Chirurgen lassen sich heute unmittelbar nach Abschluß ihrer Facharztausbildung nieder und begeben sich auf das schwierige Parkett der ästhetischen Chirurgie, oft mit Originalitäten aber leider häufig ohne Professionalität. Wir, verantwortlich für die Weiterbildung, sind in zweierlei Hinsicht gefordert: Zum Einen sollen wir uns dafür einsetzen, daß intelligente PR nicht mit öffentlichem Klamauk verwechselt wird und daß Erfolg nur mit harter Arbeit und viel Erfahrung, im Laufe der Jahre gesammelt und erreicht werden kann. Zum Anderen sollen wir attraktive Perspektiven bieten: Drittmittelanwerbung, Forschung, internationale Netzwerke, eine akademische Laufbahn sowie die Schaffung von Wertvorstellungen und Selbstwertvorstellungen.

Zurück zu den Wurzeln, bedeutet auch, sich zu besinnen auf das Durchsetzungsvermögen und die Beharrlichkeit der VDPC der vergangenen Jahre. Es bedeutet, sich zu besinnen, daß interne Diskussionen hart durchgeführt werden dürfen – so wie früher. Innere Zerreißung? – Nein danke!

Lassen Sie mich bitte zum Schluß auf eine hohen Welle hinweisen, die wie ein Tsunami auf uns zurollt: Die rasche Ökonomisierung des Gesundheitssystems in Deutschland führt zu einer Rationalisierung, bald zu einer Rationierung des medizinischen Angebotes in den Krankenhäusern. Großkonzerne kaufen in rascher Folge öffentliche Häuser auf und bereinigen defizitäre Haushalte mit dem Abbau von Betten und Personal. Dies mag vernünftig sein, wenn das Pendel nicht zu sehr in die andere Richtung ausschlägt. Die Dynamik ist auf alle Fälle atemberaubend! Dabei geht es um die Bilanzen und nicht um die Erhaltung einer differenzierten, medizinischen Versorgung. Im Gegenteil, es werden Verschmelzungen, Zentralisierungen bis zur Anonymisierung von Spezialitäten in Zentral- Ambulanzen, in zentralen OP-Einheiten, in zentralen Schreibdiensten, in zentralen Telefon-Diensten, in zentralen Geschäfts-Zimmern, interdisziplinären Diensten und interdisziplinären Stationen betrieben. Die Gefahr ist groß, daß einige Teilbereiche der plastischen Chirurgie dabei durch andere Fächer annektiert werden, die sich ebenfalls in einem darwinistischen Überlebenskampf befinden. Darwin sagte allerdings survival of the fittest, nicht of the biggest oder of the strongest! Heute müssen wir daher unsere Leistungsfähigkeit, unsere innovative Kraft so wie früher beweisen. Denn ein Nachlassen der Qualität kann sich für unser Fach fatal auswirken. Wir bleiben nur dann unentbehrlich, wenn wir unwidersprochen die Hände am besten operieren, die Brüste am schönsten rekonstruieren und formen, die chronischen Wunden am effektivsten behandeln und die ästhetischen Operationen am feinsten durchführen. Dies bedeutet auch, Universitätskliniken und Abteilungen von größeren Institutionen in öffentlichen und privaten Häusern, an denen mehr geforscht, mehr ausgebildet und weitergebildet wird, zu stärken – und in den Medien mehr sachliche Aufklärung und weniger sensationelle Live-Operationen zu gestalten. Wir sind in der Tat keine Trapez-Künstler ohne Netz und unsere Vereinigung ist kein Zirkus! Gewiß, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, dann müssen wir es retten und verhindern, daß es wieder hinein fällt.“

Quelle: „Plastische Chirurgie“, Nummer 4, Dezember 2004