2017 | Dieffenbach-Medaille

Dieffenbach-Medaille Prof. Dr. Rolf Rüdiger Olbrisch

Die Dieffenbach-Medaille 2017 wurde Prof. Dr. Rolf Rüdiger Olbrisch auf der DGPRÄC-Jahrestagung in Graz am 14. September 2017 überreicht. Die Laudatio hielt Prof. Dr. Johannes C. Bruck.

 

Dieffenbach-Vorlesung am 14. September 2017 in Graz
Wie es anfing und wo es hinführt in der plastischen Chirurgie
Rolf Rüdiger Olbrisch

 

Einleitung

Als die ersten Mitglieder der 1968 gerade gegründeten Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgen (VDPC) beschlossen, dieser Gesellschaft ein markantes Logo zu geben, welches nicht nur die Aufgabe der Mitglieder andeuten, sondern auch dem Laien zeigen sollte, wo der Ursprung der Idee der formenden, der plastischen Chirurgie gelegen ist, folgte man sehr schnell dem Vorschlag von GOTTFRIED LEMPERLE, das Bildnis des großen Alexander mit der zerstörten Nase zu wählen. Die zerstörte Nase, ob durch Krankheit, Unfall oder als Kampfesfolge, war das erste Organ des menschlichen Körperbildes, dessen Heilung durch Wiederaufbau zuerst Nichtärzte und später Ärzte aller möglichen Reputationen anstrebten.

Jahrhunderte später wurden die darin gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen auf die große übrige Körperoberfläche mutig übertragen und aus dem von GRAEFE erstmalig geprägten arbeitstechnischen Namen der „Rhinoplastik“ mit der raschen Erweiterung dieser besonderen chirurgischen Arbeitstechnik wurde von ZEIS 1836 der Begriff und Name „Plastische Chirurgie“ eingeführt.

 

Erste Europäische Literatur zur Plastischen Chirurgie

EDUARD ZEIS (1807-1868) aus Dresden war von 1844 – 1850 Direktor der chirurgischen Universitätsklinik in Marburg und danach erster Oberarzt der Abteilung für äußere Krankheiten im Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt. Er sammelte mit Akribie und Leidenschaft die damalige aufkommende deutsche und internationale Literatur zu dem von ihm neu benannten Gebiet der formenden, der plastischen Chirurgie. Bei der Frage „Was gehört zur plastischen Chirurgie?“ war er ziemlich genau und einschränkend, denn er verlangte, „dass dabei irgendetwas geschieht, um die Haut beweglicher zu machen als sie es vorher war, denn dies ist das Geringste, was, um einer Operation den Rang einer plastischen zuzuerkennen, nöthig ist, gleichwohl also, ob die Substanz aus größerer oder geringerer Entfernung herbeigeschafft wird.“

1838 gab ZEIS sein „Handbuch der plastischen Chirurgie“ heraus, nicht ohne das von ihm dringlichst erbetene Vorwort von JOHANN FRIEDRICH DIEFFENBACH abzuwarten, den er ohne Einschränkung für den größten und wichtigsten zeitgenössischen Vertreter dieses neuen Faches erachtete.

DIEFFENBACH schrieb dann in seiner Vorrede zu ZEIS` Buch: „Ich halte es für völlig überflüssig, hier etwas zum Lobe des Theils der Chirurgie zu sagen, welcher sich mit der Herstellung verstümmelter Theile des Körpers beschäftigt. Die neueste Zeit hat über seinen Werth entschieden: Es ist die höchste Blüthe der ganzen Chirurgie“.

ZEIS sammelte über 2000 nationale und internationale Literaturstellen, die er 1863 in seinem 2. Buch „Die Literatur und Geschichte der Plastischen Chirurgie“ zitierte und beschrieb.

Bei einem „Vergleich des Antheils, welchen man in verschiedenen Ländern an der Plastischen Chirurgie genommen hat“, stellte er fest, dass dieses „vorzugsweise in der nördlichen Hälfte Deutschlands geschehen war, in Berlin und den übrigen preußischen Universitäten in Breslau, Halle und Bonn. In Süddeutschland gab es nur wenige Namen. In England, sagte er, würde nur wenig Plastische Chirurgie ausgeführt, und in Frankreich würden seit 1834 die Journale von Aufsätzen über Plastische Chirurgie „wimmeln“, wobei „nur die kleinste Abänderung eines längst bekannten Verfahrens als „neue Prozedur“ beschrieben würde“.

ZEIS klagte, dass in Deutschland viel Material verloren ginge, „indem viele Ärzte sich schwer dazu entschließen, die Feder zu ergreifen“. Und schon damals stellte ZEIS  fest:

„Das, was von Amerika zu uns herüber gelangt ist, ist nicht von Bedeutung, und öfters von der Art, dass wir den Skepticismus zu üben genöthigt sind.“

ZEIS zitiert in seinem 2. Band FERDINAND GREGOROVIUS (1821-1891), einen Renaissance-Forscher und ersten deutschen und protestantischen Ehrenbürger Roms, der in seinem Traktat zu Goethe´s Wilhelm Meister 1849 feststellt: „Die (Plastische-) Chirurgie ist die göttliche Kunst, welche es mit der heiligen und schönen Menschengestalt zu thun hat und über ihr wachen soll, dass das herrliche Ebenmaß ihrer Bildung, wo es verletzt oder gestört worden, wieder hergestellt werde, wie es aus der formenden Hand der Natur hervorgegangen.“

Hier, also 1849, wird schon von der Menschengestalt gesprochen, während 30 Jahre zuvor GRAEFE im Vorwort zu seinem ersten Artikel zum Wiederaufbau von Nasen sich speziell auf dieses Organ bezog und dazu sagte: „Das Antlitz ist unstreitig der Theil des Menschen, der dessen erhabene Natur am klarsten verkündet, wobei es vorzüglich die Nase ist, welche durch ihre besondere Gestalt den Gesamtcharakter der Bildung am meisten bestimmt. Ihre Verunstaltungen zerreißen alle Harmonie der edelsten, schönsten Züge, ihr gänzlicher Mangel erzeugt die traurigste, die widrigste Entstellung.“

Offensichtlich empfanden alle Generationen vor GRAEFE genauso, denn die Nase ist, wie vorher schon gesagt, der erste Teil des Körpers, um dessen Wiederherstellung sich chirurgische Künstler jahrhundertelang bemühten. Alles, was wir heute Plastische Chirurgie nennen, hat seinen Ursprung und Beginn in der rekonstruktiven Chirurgie der Nase. Ganz selbstverständlich entwickelten sich aus den dabei gewonnenen Erkenntnissen, abhängig von der Geschicklichkeit der Ärzte, im 19. Jahrhundert wiederherstellende, reparative formende Eingriffe, zuerst im Gesicht, dann an der gesamten Körperoberfläche des Menschen, bis sich schließlich im 20. Jahrhundert aus den therapeutischen Eingriffen die nicht mehr medizinisch

begründeten kosmetischen bzw. ästhetischen entwickelten. DIEFFENBACH sagte dazu: „Dieser Zweig der Chirurgie gehört eigentlich nur in die Kosmetik, und die Geschicklichkeit in der Ausführung mehr in die Reihe der Bildenden Künste.“ Er forderte derartige Chirurgen auf, „das Formen menschlicher Gesichtsteile zuvor aus Thon oder Wachs nachzubilden“.   Ein wunderbares Bespiel für diese notwendige Doppelbegabung ist der Berliner Plastische Chirurg und Künstler CHRISTIAN BAHR, der die beste und eindrucksvollste Büste von JAQUES JOSEPH schuf.

 

Indische Vorgeschichte

Folgt man der Literatur, dann hat die Chirurgie der Nase ihren Beginn im 6. Jahrhundert v. Chr. auf dem indischen Kontinent. SUSHRUTA lehrte damals Chirurgie an der Universität von Banares. In der Sushruta Samhita schrieb er auf, was er von seinem Guru DHANWANTRI gelernt hatte. Dazu zählen mehr als 300 operative, d.h. chirurgische Eingriffe mit mehr als 120 unterschiedlichen chirurgischen Instrumenten. Er beschrieb u.a. die Rekonstruktion der verlorenen Nase durch einen Wangenlappen, oder die Reparatur einer zerstörten Lippe, führte Hauttransplantationen durch und klassifizierte die Verbrennungswunden, Wundpflege und Wundheilung. In Indien wird SUSHRUTA der „Vater der Plastischen Chirurgie“ genannt oder „Hippokrates des 6. Jahrhunderts“.

Zur Technik der Nasenrekonstruktion schrieb er u.a., dass man das Blatt einer bestimmtem Kletterpflanze suchen und benutzen solle, welches in seiner Form exakt den Defekt deckt, um damit die Dimension des zu transponierenden Wangenlappens genauestens festlegen zu können. Für die Offenhaltung der Nasenwege sollten Tuben eingelegt werden.

Diese urindische Methode wurde später modifiziert durch den Schwenklappen aus der Stirn und als geheim gehaltene Technik in nur wenigen Familien u.a. in Nepal weiter gegeben.

Dazu gehörten auch eine Defektschablone, aus Papier geschnitten, eine milde Strangulation des Halses, um die Stirnvenen deutlicher hervortreten zu lassen und die Faltung des Stirnlappens für die innere Auskleidung des Lappens. Als Narkosemittel wurde reichlich Wein benutzt, wie man aus der ersten Übersetzung des Sushruta Samhita ins Lateinische von FRANZ HESSLER (1799-1890) erfuhr. Dieser Text aus Indien wurde damals relevant und interessiert gelesen, als durch GRAEFE um 1816 in Berlin die ersten, von ihm so genannten „Rhinoplastiken“ durchgeführt wurden.

 

Italienische Frühgeschichte

Die Kenntnis der Rhinoplastik breitete sich von Indien nach Arabien und Persien aus und von dort über Ägypten nach Italien. Vielleicht war MARCO POLO (1254-1324) einer der Nachrichtenüberbringer, der nach seiner Reise nach China 1291 das große Reich zur Heimfahrt mit 600 Mann verließ und auf dem Weg nach Europa auf seiner 5 Jahre dauernden Reise an der indischen Westküste mit vielen Hafen- und Menschenkontakten entlang segelte , um schließlich mit nur noch 17 Mann in Italien wieder anzukommen.

Von Italien haben wir die erste Kunde aus dem 15. Jhdt. Danach wirkten Vater GUSTAVO BRANCA und Sohn ANTONIO BRANCA auf Sizilien in Catania als Nasenrekonstrukteure, der Vater mithilfe des Wangenlappens, während der Sohn einen Lappen vom Oberarm benutzte. Ursachen für den Verlust der Nase waren damals die ulzerierten Hautveränderungen durch die Syphilis, die mit ihren typischen Knochenveränderungen in Süditalien schon im 6. Jhdt. aufgetreten sein muss bzw. nachgewiesen worden war, und die Folgen des Zweikampfes mit dem Degen. Der Verlust der Nasenspitze war das Zeichen  des Unterlegenen bzw. des Verlierers und sollte deswegen möglichst spurlos rückgängig gemacht werden. Dafür erwies sich der Lappen vom Oberarm, dessen Entnahmestelle verdeckt werden konnte, als deutlich raffinierter als der Wangen- oder Stirnlappen mit den erkennbaren Entnahmenarben im Gesichtsbereich.

Die Familie BRANCA behielt ihre Erkenntnisse und ihr Wissen für sich und gab ihre Erfahrungen nie schriftlich weiter, wie es im Gegensatz dazu SUSHRITA im 6. Jhdt. vor Chr. für seine Nachfahren in Indien getan hatte und 1000 Jahre nach ihm GASPARE TAGLIACOZZA an der Universität von Bologna.

BARTOLOMEO FACIO (1400-1457) war in Neapel Sekretär und Astrologe von König ALFONS V. von Aragon, als er mit seinem Werk „De viribus illustribus“ Biographien bedeutender Zeitgenossen verfasste. Darin beschrieb er u.a. Vater und Sohn BRANCA, die er als besonders erinnerungswürdig erachtete, weil BRANCA der Ältere „der Erfinder einer  bewunderungswürdigen und nahezu unglaublichen Sache“ sei: Er habe sich eine Methode ausgedacht, Nasen, die verstümmelt oder abgeschnitten waren, wieder aufzubauen bzw. zu ersetzen. Und der Sohn BRANCA  habe zu der wunderbaren Erfindung des Vaters nichts weniger hinzu gefügt, als er Methoden der Rekonstruktion verstümmelter Lippen und Ohren entwickelte und den Nasenwiederaufbau mit Gewebe vom Oberarm einführte, um das Gesicht selber nicht noch weiter durch neue Narben zu entstellen. FACIO beschreibt diese Methode mit „Fleisch aus dem Oberarm“ genau so, wie sie 150 Jahre später TAGLIACOZZA in Bologna in seinem Lehrbuch „De curtorum chirurgia per insitionem“  darstellte.

Allerdings nennt FACIO das Oberarmgewebe, in welches der Kopf des Patienten für 15 Tage fixiert werden musste, fälschlicherweise „Muskel“, was dazu führte, dass noch viele Jahrzehnte und Jahrhunderte danach nachfolgende Medizinergenerationen die Durchführbarkeit dieser Rekonstruktionsmethode in Zweifel zogen. FACIO aber beschrieb begeistert, dass BRANCA den Oberarmlappen derart geschickt in den Nasendefekt einfügte, dass man ihn mit den Augen kaum erkennen konnte, zumal die Entnahmestelle verborgen war. Diese kleine medizinische Notiz in seinem Buch „Über berühmte Männer“ ist die erste zu plastisch-chirurgischen Eingriffen in Europa, 2000 Jahre nach der Veröffentlichung in Indien. Allerdings ist sie so kurz und ungenau, dass sie nicht als Lehrstück genutzt worden sein konnte und wurde wohl auch kaum bemerkt.

ALLESSANDRO BENEDETTI (1450-1512) aus Parma war Generalarzt der Venetianischen Armee. Für ihn war die klinische Untersuchung und die Sektion wichtiger als das Vertrauen in die Texte der medizinischen Autoritäten. Zum Erschrecken der damaligen Zeitgenossen widersprach er ARISTOTELES, der die Nerven als vom Herzen ausgehend beschrieben hatte. BENEDETTI behauptete aufgrund seiner Autopsien hingegen, dass die allermeisten Nerven ihren Ursprung im Gehirn hätten. Er war es auch, der in seinem literarischen Werk die Nasenrekonstruktion über den Arm beschrieb, ohne die Operation je selbst durchgeführt zu haben und ohne die Quelle seiner Kenntnis zu nennen. Aber man kann davon ausgehen., dass er seine Kollegen BRANCA Vater und Sohn meinte, die er in seinem Buch von 1497 „geniale Männer“ nennt.

Ein halbes Jahrhundert später wird LEONARDO FIORAVANTI (1518-1588), ein „praktischer Wanderarzt“, dazu feststellen, dass nur derjenige eine für ihn neue Operationsmethode anwenden dürfe, die er mit eigenen Augen – er nennt das „Autopsie“ – in ihrer Durchführung gesehen und erlebt habe. Er reiste deswegen selber zu den Brüdern VANIO: VINCENZO, BERNARDINO, PIETRO, PAOLO und einem Sohn von BERNARDINO, die in Tropea in Kalabrien lebten und operierten. Sie waren berühmt für ihre Nasenrekonstruktionen über den linken Arm.

FIORAVANTI wollte deren Technik erlernen, obwohl sie diese als Familiengeheimnis zu bewahren bemüht waren. So gab er vor, sich für einen verletzten Verwandten erkundigen zu wollen, wobei er im Operationsraum wie unbeteiligt auftrat, jedoch, wie er sagte, mit kurzen schnellen Blicken die Operationsschritte notierte, um in seinem Bericht darüber sagen zu können, dass nur die Autopsie zum Nachmachen berechtige. Er gibt zu, eine derartige Nasenrekonstruktion nie selber durchgeführt zu haben, aber mit einem dem nahe kommenden Eingriff war er erfolgreich und erntete Ruhm nicht nur in Neapel:

Eines Tages geriet sein ihn begleitender Freund in Streit mit einem Soldaten, der diesem sogleich im schnellen Degengefecht die Nasenspitze abschlug, die im Dreck der Straße landete. FIORAVANTI hob diese rasch auf,  reinigte sie, indem er über sie urinierte und „klebte“ die Nasenspitze mithilfe seines berühmten Balsams in den frischen Defekt, den er mit einer festen Bandage absicherte. Die transplantierte Nasenspitze heilte ungestört ein und machte den Heiler zum Helden. Dieser benutzte seine „Desinfektionsmethode per Urin“ übrigens wiederholt, wie er in seinem Buch „Il capricio medicinale“ von 1561 schreibt, indem er beispielsweise zum Abschluss einer von ihm durchgeführten Milzexstirpation die umstehenden Zuschauer aufforderte, in die offene Bauchhöhle zu urinieren.

Der sehr fleißig veröffentlichende Berliner Arzt MICHAEL BENEDIKT LESSING  schrieb in seinem „Handbuch der Geschichte der Medizin“, Berlin 1838 über FIORAVANTI: „Am berühmtesten unter den italienischen Geheimmittelverkäufern ist LEONARDO FIORAVANTI aus Bologna, der Erfinder des berühmten Wundbalsams (aus Terpentin) und Verfasser einer zahllosen Menge von Schriften. Im Übrigen scheint er ein ganz niedriger Betrüger gewesen zu sein“.  ZEIS antwortete ihm (1863): „Dass er auf seiner Reise zu den Brüdern (VIANO) ihr Geheimnis ablauschte, ist doch kein so gro0es Verbrechen – Ähnliches kommt zur Jetztzeit alle Tage vor“.

FIORAVANTI berichtete 1570 von seinen Erlebnissen bei den VIANO-Brüdern und deren geschickter Lappentechnik, indem sie die Haut des Oberarmes mit einer Klemme fassten, anhoben und sodann mit einem zweischneidigen Messer die Haut an der Basis, d.h. oberhalb des Muskels, durchstießen und damit zwei parallele Schnitte in einem Schritt durchführten.

Diese Technik beschreibt später auch TAGLIACOZZA, ohne näher auf seine Vorläufer, die VIANO-Brüder, einzugehen. Das tat er übrigens auch nicht bei seinem Vorgänger auf dem chirurgischen Lehrstuhl in Bologna, GIULIO CESARE ARANZIO (1530-1589), der ebenfalls Nasen über den Oberarmlappen zu rekonstruieren pflegte. Wir wissen davon, weil ein polnischer Student, der von 1565 bis 1569 in Bologna weilte, dieses Operationsverfahren in einem Bericht auf Polnisch zu Hause genauestens beschrieb (Krakau 1581), 18 Jahre vor dem Erscheinen von TAGLIACOZZAs Lehrbuch.

WILHELM FABRY VON HILDEN (1560-1634) galt seinerzeit als der größte deutsche Wundarzt und Begründer der wissenschaftlichen Chirurgie, der eine große Zahl lateinisch geschriebener Schriften veröffentlichte. Sein Vorbild war der Lausanner Chirurg JEAN GRIFFON,  von dem er berichtet, dass dieser, nur nach den Erzählungen eines Patienten, einer jungen Frau im Jahre 1592, als TAGLIACOZZAs Buch noch nicht veröffentlicht war, die Nase rekonstruierte. Diese, Susanne N., hatte sich wirkungsvoll gegen die Vergewaltigung durch zwei Soldaten gewehrt, woraufhin selbige ihr die Nase abschnitten, eine damalige Form der Bestrafung von Ehebrecherinnen. GRIFFON war erfolgreich, d.h. er beseitigte die stigmatisierende Mutilation und stellte durch die Schaffung eines wieder „normalen Aussehens“ eine Form der Gerechtigkeit wieder her.

 

Zeit des TAGLIACOZZA

Bevor TAGLIACOZZA sein opus magnum veröffentlichen durfte, an dem er mehr als 10 Jahre gearbeitet und zudem fast 4 Jahre auf die Fertigstellung der Holzschnitte für die Bebilderung gewartet hatte, benötigte er die Druckgenehmigung des Rates der Zehn in Venedig, nachdem auch der Zensor das Buch gelesen und beurteilt hatte. Diese Imprimatur auf der Rückseite des Buches nennt den Autor Gaspare TAGLIACOZZA, mit einem A am Ende des Namens, während die Nachwelt ihn fälschlicherweise mit I schreibt, wohl übernommen aus dem Titel des Buches, in welchem er im Genitiv seines lateinischen Namens TALIACOTII genannt wird.

Das 1597 in Venedig erschienene Buch mit dem Titel „DE CURTORUM CHIRURGIA PER INSITIONEM“ unter dem im Genitiv geschriebenen Namen des Autors GASPARIS TALIACOTII enthält zwei Teile: Der theoretische erste Teil schildert auf 74 Seiten die Medizin und Gedankenwelt im 16. Jahrhundert mit einer ausführlichen Beschreibung des Gesichtes mit Bezug auf 66 frühere Autoren, zu denen er u.a. ARISTOTELES, AUGUSTINUS, CICERO, EURIPIDES, HIPPOKRATES UND PLATO zählt.

Im 2. Buch mit seinen ebenfalls 74 Seiten geht es um die Praxis, d.h. es werden in einem sehr ins Einzelne gehenden Text – in großer Langatmigkeit – die Techniken des Wiederaufbaues der verstümmelten Nase, Lippen und Ohren über den Oberarmlappen geschildert. Ein Anhang mit 22 sehr deutlichen Holzschnitten zeigt die dafür notwendigen Instrumente und einzelnen Operationsschritte. So ist auf Tafel 15 wunderbar zu erkennen, dass sich nach Abschluss der Nasenrekonstruktion die Wundränder der Lappenentnahmestelle auf der Innenseite des Oberarms spontan kontrahiert haben.

TAGLIACOZZAs Operationstechnik der Nasenrekonstruktion kann kurz folgendermaßen zusammengefasst werden:

Vorbereitung:

2 Gehilfen, Ministri,

ein gut beleuchteter und belüfteter Raum,

Umschläge aus Essig und Kräutertee ½ Stunde vor der Lappenausschneidung,

Verbandstücke getaucht in Eiweiß, Rosenwasser, Drachenblut (das in Alkohol lösliche antiseptische Harz des Drachenbaumes von der Insel Sokotra im Golf von Aden) und Siegelerde.

  1. Op: Hautlappen am Oberarm: 2 parallele Schnitte über Zange, Leinenstreifen.
  2. Op: (14 Tage später) Lösung der 3. Seite – für die Nase die obere Hautbrücke trennen.
  3. Op: (14 Tage später) Anfrischung des Nasenstumpfes, Ausmessen mit Papiermodell,

Lappen auf den Stumpf, stabilisierende Weste.

  1. Op: (spätestens am 20. Tag) Lappendurchtrennung
  2. Op: Modellierung mit Messer, Binden und Bandagen
  3. Op: Anheften des Septums
  4. Schritt: Anpassungszeit 3-4 Monate: Formverbesserung durch Nasenmodelle, 2 Röhrchen aus Blei, Silber oder Gold (2 Jahre lang nachts).

Aus der sehr genauen Darstellung des chirurgischen Eingriffes kann man erkennen, dass eben nicht der M. Biceps mit einbezogen wird, wie es fälschlicherweise AMBROISE PARÉ (1510-1590) beschrieb, der zur damaligen Zeit berühmteste nicht-akademische Militärchirurg. Er behauptete, dass der Nasenstumpf  in den geöffneten Bicepsmuskel gedrückt und gehalten werden müsse.

TAGLIACOZZA war in seinem Werk um große Ehrlichkeit bemüht und behauptete nie, der Erfinder der Methode zu sein, diese  jedoch erstmalig auf der Grundlage des Wissens und Könnens seiner und der voraufgegangenen Zeit praktikabel dargestellt zu haben, um exaktes Wissen an kommende Generationen weiter zu geben.

TAGLIACOZZA starb am 7. November 1599, zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Buches und wurde in der Kirche der Nonnen von San Giovanni Battista bestattet. Anders als wiederholt kolportiert, wurde er nicht nach seiner Bestattung, die mit großem Pomp seitens der Stadt und der Universität stattgefunden hatte, wieder exhumiert und von den Nonnen an unbekannter Stelle verscharrt, sondern 4 Jahre später nach Fertigstellung der Kapelle, die er für sein Grab selber entworfen hatte, dorthin umgebettet. Die Kapelle verschwand mit dem späteren Abriss des Klosters.

 

Nach TAGLIACOZZA

Noch zu TAGLIACOZZAs Lebenszeiten wies der Jurist und Theologe GIOVANNI BRATTI auf den Konflikt zwischen Justiz und der chirurgischen Kunst hin, die es ermöglicht, strafbedingte Verstümmelungen rückgängig zu machen: In Venedig wurde das Abschneiden der Nase als Strafe bei Sexualdelikten wie passiver Homosexualität oder Kuppelei von Frauen bewusst zur Stigmatisation eingesetzt.

In der Folge von TAGLIACOZZAs Veröffentlichung finden sich mehrere medizinische Autoren, die Nasenrekonstruktionen beschreiben, dieses jedoch derart zweideutig und unordentlich tun, dass der Engländer ALEXANDER READ (1580-1641) feststellt: „Derjenige, der nach diesen Beschreibungen zu rekonstruieren sich anschickt, läuft Gefahr, nicht nur seinen Ruf und seine Glaubwürdigkeit zu verlieren, sondern auch das Leben des Patienten.“ Insbesondere zwei Dinge behinderten die Popularisierung von TAGLIACOZZAs Transplantationsmethode, abgesehen von seinem frühem Tod und der nur kleinen

Buchauflage und der großen Umständlichkeit seiner Vorschriften: Das war der Glaube, dass Muskelgewebe zum Wiederaufbau benötigt würde, was zu scheußlichen Ergebnissen führe.

Und zum anderen war es der Glaube, dass auch Gewebe von einer anderen Person benutzt werden könne.

So schrieb der Brandenburgische Feldscher MATTHEUS GOTTFRIED PURMANN (1648-1711) in seinem „Chirurgischen Lorbeer-Krantz“ (Halberstadt 1684): „Die TAGLIACOZZA-bedingten Schwierigkeiten umgeht man am besten, dass man dazu eines anderen Arm oder Fleisch nehme“.

Der Universalgelehrte ATHANASIUS KIRCHER (1602-1680) erzählt (Köln 1643) dazu die Geschichte der Bildung einer Nase aus dem Arm eines Sklaven, der an den Empfänger genäht wurde. Die auf diese Weise gebildete Nase nennt er eine „sympathetische“, welche die Eigenschaften des Spenders mitnimmt: Erkrankt dieser, so erkrankt auch die gespendete Nase. Stirbt der Spender, so fällt die transplantierte Nase beim Empfänger ab. Geradezu telegraphisch hellsichtig war der daraus resultierende Vorschlag, dass sich zwei befreundete Personen gegenseitig die Nase transplantieren lassen sollten, denn auf diese Weise könnten Berührungen der einen „sympathetischen“ Nase dieses der anderen melden, was als Nachrichtensystem benutzt werden sollte.

PAOLO ZACCHIA (1584-1659), Leibarzt der Päpste INNOCENTIUS X und ALEXANDER VII und Rechtsberater des päpstlichen Gerichtshofes, meinte dazu, dass der Abfall der Nase nur verhindert werden könne durch körpereigenes Gewebe. Und in einem juristischen Fall stellte er fest, dass der Verlust der Nase ein hinreichender Grund sei, eine Verlobung rückgängig zu machen und dass die Verlobung wiederum in Kraft träte, wenn sich jemand die Nase wieder aufbauen ließe, weil dann der Trennungsgrund entfiele. Er fügte aber hinzu: Kein Kranker könne gezwungen werden, sich die Nase rekonstruieren zu lassen, da sie zum Leben nicht unbedingt nötig sei.

Die höchst unterschiedlichen Meinungen Prominenter, die selten auf eigenen Erfahrungen fußten, mussten verschrecken und bedingten eine fast 150-jährige entwicklungsarme Zeit in der Medizin.

 

Das neue chirurgische Jahrhundert vor DIEFFENBACH

Die Wende kam durch einen Artikel im Londoner „Gentleman´s magazine and historical chronical for the year 1794“. Im Jahre 1793 erlebten die beiden Chirurgen Mr. JAMES FINDLAY und Mr. THOMAS CRUSOE vom englischen Lazarett in Poona in Indien einen Nasenwiederaufbau bei COWASJEE, einem indischen Mitglied der britischen Truppen. Sie beschrieben die Details der Nasenrekonstruktion in der Madras Gazette, woraufhin im Oktober 1794 ein Artikel darüber im Londoner „Gentleman´s Magazine“ erschien. Darin hieß es u.a., dass COWASJEE ein Ochsentreiber für die Kanonen in der britischen Armee war und nach einem verlorenen Kampf vom Sultan TIPU gefangen genommen worden war. Dieser hatte ihm eine Hand und die Nase abschneiden lassen. Als sein englischer Vorgesetzter Colonel WARD an einem indischen Kaufmann eine rekonstruierte Nase entdeckte, ließ er durch diesen den Rekonstrukteur aus der Kaste der Ziegelmacher rufen, der dem Ochsentreiber COWASJEE und vier weiteren Soldaten nach der „indischen Methode“ über einen Stirnlappen die Nase wieder aufbaute.

Es ist erstaunlich und kaum erklärbar, dass diese in Indien von den Koomas als Abkömmlinge der Braminen seit Jahrhunderten ausgeübte Rekonstruktionsmethode von den Engländern nicht früher beobachtet worden war, obwohl sie seit fast zwei Jahrhunderten mit der Britischen Ostindien-Kompanie auf dem indischen Kontinent lebten und handelten.

Der besagte Artikel regte den Londoner Chirurgen Mr. JOSEPH CONSTANTINE CARPUE (1764-1846) zur Nachahmung an. 1816 veröffentlichte er einen Bericht nach zwei erfolgreichen Rekonstruktionen, der 1817 in Berlin auf Deutsch erschien unter dem Titel „Geschichte zweier gelungener Fälle, wo der Verlust der Nase vermittelst der Stirnhaut ersetzt wurde“. Die Vorrede dazu schrieb KARL FERDINAND GRAEFE (1787-1840), der in den Kriegen gegen NAPOLEON Preussischer Generalarzt und 1811 mit 23 Jahren erster Professor für Augenheilkunde und Chirurgie an der Berliner Charité geworden war. Angeregt durch CARPUE entwickelte GRAEFE die Rekonstruktionsmethoden weiter und veröffentlichte 1818 den Artikel „Rhinoplastik, oder die Kunst, den Verlust der Nase organisch zu ersetzen, in ihren früheren Verhältnissen erforscht und durch eine neue Verfahrensweise zur höheren Vollkommenheit gefördert“. Der Begriff „Rhinoplastik“ war von ihm geprägt worden, ebenso wie der der Blepharoplastik und Cheiloplastik, als er weitere Operationsmethoden entwickelte.

EDUARD ZEIS fasste unter dem von ihm geschaffenen Begriff „Plastische Chirurgie“ alle formenden operativen Eingriffe in seinem Handbuch von 1838 zusammen.

 

DIEFFENBACH

JOHANN FRIEDRICH DIEFFENBACH (1792-1847) folgte über Umwege v. GRAEFE auf dem chirurgischen Lehrstuhl in Berlin. DIEFFENBACH, in Königsberg geboren, studierte zunächst Theologie in Rostock und Greifswald, nahm an den Befreiungskriegen gegen NAPOLEON teil und, beeindruckt durch das Elend der Verwundeten, begann er das Medizinstudium in Königsberg. Später wechselte er nach Bonn, um schließlich in Würzburg zu promovieren über „Regenerationen und Transplantationen“, nachdem er dutzenden von Katzen und Hunden die Schwänze abgeschnitten und wieder angenäht hatte. Als Leibarzt einer russischen Adligen kam er für längere Zeit nach Paris, wo er bei den chirurgischen Berühmtheiten seiner Zeit  hospitierte, u.a. bei GUILLAUME DUPUYTREN oder JEAN DOMINIQUE LARREY, dem vormaligen Leibarzt NAPOLEONs. In Berlin operierte DIEFFENBACH zunächst in eigener Praxis. Erst 1829 wurde DIEFFENBACH zum dirigierenden Arzt an der Chirurgie der Charité ernannt und 1840, ein halbes Jahr nach GRAEFE´s Tod,  dessen Nachfolger als Professor der Universitätsklinik. Nur sieben Jahre waren ihm dort vergönnt, als er am 11. November 1847 in einer Operationspause im Hörsaal vor seinen Studenten an der Schulter eines französischen Gastarztes in sich zusammen sackte und trotz aller Wiederbelebungsbemühungen mit einer „elektrischen Batterie“ verstarb.

Bis dahin hatte er mit unerhörtem Fleiß operiert und publiziert und schließlich noch sein Lebenswerk zusammenfassen können mit dem zweiten Band seiner „Operativen Chirurgie“.

Im gleichen Jahr hatte er zum ersten mal mit Hilfe der 1846 in Boston eingeführten Äthernarkose bei einem 16-jährigen Patienten eine schmerzfreie Rhinoplastik durchführen können,  der bald seine Monographie „Der Äther gegen den Schmerz“ folgte.

GRAEFE´s plastisch-chirurgische Ideen regten ihn an, deren Spektrum insbesondere bei den angeborenen und erworbenen Veränderungen im Gesicht zu erweitern, und die ehrgeizigen französischen Kollegen forderten ihn zu einem publizistischen Wettstreit heraus, wodurch die vielen DIEFFENBACHschen Erfindungen rasch bekannt wurden. So hatte DIEFFENBACH, noch außerhalb der Klinik, zur Transfusion geforscht und dabei ein Röhrchen bis zum schlagenden Herzen geschoben, was er in seiner Schrift „Die Transfusion des Blutes und die Infusion der Arzneien“ 1828 veröffentlichte. Dieser folgte 1829, nur ein Jahr später, die erste Zusammenfassung seiner plastisch-chirurgischen Ideen und Erfahrungen mit der Veröffentlichung „Chirurgische Erfahrungen, besonders über die Wiederherstellung zerstörter Theile des menschlichen Körpers nach neuen Methoden“. Anders als zu Beginn seiner chirurgischen Tätigkeit waren nun nicht mehr Kriegsfolgen zu behandeln, sondern Missbildungen oder Verstümmelungen in der Folge von Krebserkrankungen oder Verbrennungen.

DIEFFENBACH hatte zur Nasenrekonstruktion zeitlebens die indische Methode mit dem Stirnlappen bevorzugt, während sein Vorgänger GRAEFE den italienischen Oberarmlappen benutzte und diese Methode verfeinerte bis zu einem vorfabrizierten Armlappen, wonach diese seine Technik als „Deutsche Methode“ bezeichnet wurde.

BERNHARD VON LANGENBECK (1810-1887), der nur 8 Tage nach DIEFFENBACH´s Tod als dessen Nachfolger aus Kiel berufen worden war, betonte, dass zu transponierende Lappen nie gezerrt werden dürften und dass deswegen Schnittverlängerungen durchgeführt werden müssten, weswegen er den Stirnlappenschnitt bis in den inneren Augenwinkel verlängerte unter Erhalt der Gefäße im Transponat. Er stellte fest: “Der Ersatz durch Hautverzeihung in seiner allgemeinsten Bedeutung und vielfachen Anwendung bei den verschiedensten plastischen Operationen ist unbestritten eine Erfindung DIEFFENBACHs.“

LANGENBECK´s Assistent FRIEDRICH TRENDELENBURG (1844-1924) promovierte über „Die Nasenplastik im vorchristlichen Indien“.

 

Das moderne rhinoplastische Zeitalter mit JOSEPH

Wenn die Reihe der um die plastische Nasenchirurgie in Deutschland verdienten Ärzte fortgesetzt werden soll, dann findet sie ihren Meister unweigerlich in JAQUES JOSEPH (1865-1934). Wie DIEFFENBACH in Königsberg geboren, machte JOSEPH in Berlin an einem humanistischen Gymnasium das Abitur und begann im April 1885 das Studium der Medizin an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Nach einer Assistentenzeit in der Städtischen Kinderklinik und Praxisjahren war er für 4 Jahre Assistent an der Orthopädischen Universitätsklinik unter Professor JULIUS WOLF. Dieser entließ ihn spontan nach einem Vortrag über seine aus ästhetischen Gründen vorgenommene Otoplastik an einem 5-jährigen Knaben. JOSEPH aber spürte seine Berufung als formender bzw. plastischer Chirurg und führte 1898 erstmals eine operative Nasenverkleinerung durch an einem Gutsbesitzer, der wegen seiner unförmig riesigen Nase die Gesellschaft mied und zu Depressionen neigte.

Für diese Operation hatte er sich vorher sorgfältig an einer Leiche im anatomischen Institut

von Professor HEINRICH WALDEYER vorbereitet. Der Erfolg mit einem glücklichen, nun selbstbewussten Patienten, den er nicht von Schmerzen, wohl aber von einer seelischen Last befreit hatte, führte ihm rasch viel neue Patienten zu,  die, anders als in früheren Jahrhunderten, keiner Nasenrekonstruktion bedurften, sondern einer rein ästhetischen Korrektur. 1906 bereits konnte JOSEPH über 200 ästhetische Rhinoplastiken berichten, wobei er bereits ab 1901 den intranasalen Zugang benutzte. Dazu hatte er verschiedene neue Instrumente entwickelt, die z.T. noch heute genutzt werden. Dass über 10 Jahre vor ihm der Amerikaner JOHN ORLANDO ROE erste intranasale Eingriffe durchführte , hatte JOSEPH nicht gewusst und verdrängte diese Tatsache später auch gerne.

In Europa jedenfalls war JOSEPH der Meisterchirurg und weltberühmt, nur leider kein guter Lehrer. Die interessierten, oft bis aus Amerika angereisten Kollegen durften zwar für 100 $ im Operationssaal zuschauen, aber keine Fragen stellen, weil das die Patienten störe. JOSEPH hatte sich vom Anästhesisten  befreit, indem er nahezu ausschließlich in Lokalanästhesie  operierte. Das tat er auch, als mit Beginn des 1. Weltkrieges, der rasch ein Stellungskrieg geworden war, die Soldaten mit den kompliziertesten Gesichtsverletzungen zu ihm gebracht wurden. Als deutscher Patriot kämpfte er um jeden seiner Patienten, die infolge der schwierigen Lappenplastiken oft monatelang in seiner Behandlung standen. Seine erstaunlichen Erfolge erregten Aufsehen bis hin zum Kaiser,  der ihn zum Professor an der

Charité machen wollte, allerdings unter der Bedingung, dass er seinem mosaischen Glauben abschwöre. Das tat JOSEPH nicht und blieb in seiner Praxis. Nach dem Kriegsende und dem Abdanken des Kaisers aber wurde für ihn in der HNO-Klinik der Charité eine plastisch-chirurgische Abteilung zur Behandlung der Gesichtsversehrten eingerichtet,  die bis 1922 Bestand hatte. Danach operierte JOSEPH wieder in der Praxis in der Bülowstraße, überwiegend ästhetische Rhinoplastiken mit der von ihm beschriebenen typischen Operationsindikation „Unbelästigt seines Weges gehen und unbefangen mit den Menschen verkehren zu können“.

 

Moderne plastische und ästhetische Chirurgie

Mit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurden auf der Basis der im voraufgegangenen Jahrhundert tausendfältig entwickelten Verfeinerungen der rekonstruktiv-plastischen Chirurgie die Forderungen auch nach rein ästhetischen Korrekturen immer häufiger.

EUGEN HOLLÄNDER (1867-1932) in Berlin war der erste, der 1901 eine Straffung der Gesichtshaut durchführte bei einer polnischen Aristokratin, die ihn erst überreden musste, den von ihr demonstrierten Hautüberschuss vor dem Ohr weg zu schneiden. HOLLÄNDER  war auch der erste, der Fetttransplantationen durchführte, indem er Patienten mit Gesichtsatrophie durch Einspritzen eines Gemisches  aus Eigen- und Hammelfett behandelte. Er beschrieb diese neue Form der Plastischen Chirurgie als „Kosmetische Chirurgie“ in einem Kapitel des „Handbuchs der Kosmetik“, herausgegeben von MAX JOSEPH, Leipzig 1912. Das sind „Eingriffe, bei denen der Schönheitsbegriff die Direktive gibt für unser ärztliches Handeln“.

Zur gleichen Zeit entwickelte ERICH LEXER (1867-1937)  als klinischer und Universitätschirurg die Eingriffs- und Formungsmöglichkeiten der gesamten plastischen Chirurgie phantasievoll weiter und beschrieb 1906 in seiner Zeit an der Charité in Berlin die Form der Gesichtsstraffung, die heute noch weitgehend Standard ist. 1931 veröffentlichte er während seines Ordinariates in München,  nachdem er zuvor die Lehrstühle für Chirurgie in Königsberg, Jena und Freiburg inne hatte, sein Hauptwerk  „Die gesamte Wiederherstellungschirurgie“, in 2 Bänden, Leipzig 1931. Darin finden sich neben den Rekonstruktionsmethoden von Nase, Ohr, Mund, Kiefer u.a. auch Gaumenspalten-Operationen, periphere neurochirurgische Eingriffe und die sog. Lexer-Rosenthal-Plastik zur Behandlung der Gesichtsnervlähmung und verschiedene Formen der Mamareduktionsplastik.

Seine wiederherstellungschirurgischen Eingriffe lernte von ihm noch sein jüngster bzw. letzter Assistent GEORG MAURER (1909-1980), der auf diese Weise nach dem Flugzeugabsturz der Fußballmannschaft von Manchester United am 6. Februar 1958 in München die 21 Überlebenden und Verbrennungsverletzten mit seinen Mitarbeitern am von ihm begründeten Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München plastisch-chirurgisch erfolgreich behandeln konnte. Die englische Königin ELISABETH II. ernannte ihn daraufhin zum Ehrenkommandeur des Order of  the British Empire. Eine der Mitarbeiter von MAURER war URSULA SCHMIDT-TINTEMANN (1925–2017) , die, von ihm unterstützt, an eben diesem Klinikum eine der ersten rein plastisch-chirurgischen Abteilungen in Deutschland aufbauen konnte.

Mit der Zeit des 2. Weltkrieges hatte es eine Unterbrechung des glorreichen Entwicklungsweges der deutschen Plastischen Chirurgie gegeben, der am Anfang des 19. Jahrhunderts in Berlin begonnen hatte.  Falsch verstandenes  Heldentum in der Nazizeit ließ, anders als im Weltkrieg davor,  Verwundungsfolgen und Narben zu Ehrenzeichen werden und die Plastische Chirurgie verkümmern.

In den ersten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg wurden plastisch-chirurgische Operationen in allen einschlägigen Fachgebieten, wie z.B. den HNO- und MKG- und Orthopädischen Kliniken durchgeführt. Deren Protagonisten gründeten 1962 die erste interdisziplinäre  Deutsche Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie, in welcher sich die Vertreter der jeweiligen regionalen Plastischen Chirurgie noch heute versammeln. Das veranlasste bald diejenigen, die sich als formende und rekonstruktive Chirurgen der gesamtem Körperoberfläche sahen, diese Versammlung der verschiedensten Fachärzte zu verlassen und  die Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgen (VDPC) nach den Statuten der internationalen Conföderation der plastisch-rekonstruktiven Chirurgen (ICPRS) zu gründen und den Facharzt für die gesamte Plastische Chirurgie anzustreben.

Diesen Neubeginn für das reine Fach der Plastischen Chirurgie schafften 1968 die Begründer der VDPC mit HERBERT HÖHLER (1920-1978), JOSEPH SCHRUDDE (1920-2004), URSULA SCHMIDT-TINTEMANN (1925-2017), DIETER BRUCK-GRAMKOW (1927-2012), PETER RUDOLF ZELLNER (1928-1998), und FRIEDRICH MÜLLER.

Sie alle mussten ihre guten Beziehungen zu den Lehrern und Kollegen im Ausland, insbesondere in England und den USA, nutzen, während die Urform der Plastischen Chirurgie, nämlich die der Nase, von RUDOLPHE MEYER (1918-2013) in Lausanne und in unserem Land und unserer Zeit von WOLFGANG MÜHLBAUER, einem Schüler von SCHMIDT-TINTEMANN und damit einem chirurgischen Urenkel von LEXER, in München und von WOLFGANG GUBISCH in Stuttgart überaus phantasievoll und erfolgreich weiter entwickelt wurde.

Heutzutage wird im deutschen Sprachgebrauch die Plastische Chirurgie häufig zur „Schönheitschirurgie“ reduziert, während der Plastische Chirurg mit berechtigtem Stolz auf die Erfolge insbesondere bei den rekonstruktiven Eingriffen nicht nur in der Tumorchirurgie verweist. Das, was vor 100 Jahren bei JOSEPH die Gesichtsrekonstruktionen in der Kriegschirurgie waren, sind heute die Muskeltranspositionen, wie sie NEVEN OLIVARI (1932-2018) in Köln zur Behandlung der Bestrahlungsschäden einführte, oder die mikrochirurgische Replantationschirurgie, wie sie EDGAR BIEMER vor 40 Jahren in München inaugurierte, und gliedmaßenerhaltende Operationen bei Tumoren der Extremitäten, wie sie  HANS ULRICH STEINAU in Bochum entwickelte, oder die Idee und Technik des Wiederaufbaues der weiblichen Brust nach deren krebsbedingter Amputation, die HERBERT HÖHLER in Frankfurt am Main als erster in der medizinischen Welt schon vor über 50 Jahren mutig einführte.

Was fehlt, ist ein „DIEFFENBACH-Lehrstuhl“ für das große Fach der von ihm begründeten Plastische Chirurgie an der deutschen Urquelle, der Berliner Charité, der unverändert und weiterhin angestrebt werden sollte.