2006 | Jahrestagungen

37. Jahrestagung in Aachen

Plastische Chirurgie – Zukunft auf vier Säulen
Erhan Demir, Timm P. Wolter, Norbert Pallua

Die 37. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) fand gemeinsam mit der 11. Jahrestagung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC) vom 29. September bis zum 2. Oktober unter dem Motto „Plastische Chirurgie – Zukunft auf vier Säulen“ in der alten Kaiserstadt Aachen statt. Die beiden Tagungspräsidenten Norbert Pallua, Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie am Universitätsklinikum RWTH Aachen und Siegfried Grandl, Chefarzt der Klinik für Plastische Chirurgie am Luisenhospital, konnten gemeinsam mit ihrem Kongreßorganisationsteam Erhan Demir und Timm P. Wolter mit zahlreichen Innovationen aufwarten.

Im Anschluß an die jeweiligen Operationen fand erstmals ein Dissektions- und Präparationskurs statt
Der am 29. und 30. September am Universitätsklinikum RWTH Aachen durchgeführte Operationskurs verdeutlichte
das Konzept der Zusammengehörigkeit von rekonstruktiver und ästhetischer Chirurgie. Im ersten Operationssaal erfolgten rekonstruktive mikrochirurgische Eingriffe und im zweiten wurden ästhetisch-plastische Eingriffe durchgeführt. Die Liveübertragung der Operationen wurde informativ und ungezwungen durch D. von Heimburg (Frankfurt) moderiert. Dabei erfolgten stets Parallelschaltungen zwischen den beiden Sälen mit direktem Dialog und Diskussionen zwischen den Operateuren und dem Auditorium. Ein autologer Brustaufbau mittels DIEP-Flap wurde durch A.-M. Feller (München) durchgeführt. Ein Midface- und Halslift erfolgte durch B. Cornette de Saint-Cyr (Paris). Am zweiten Kurstag operierte M. Ninkovic (München) eine freie ALTP-Lappenplastik zur Rekonstruktion eines Weichteildefektes an der oberen Extremität. Im zweiten Saal zeigten Frau C. Neuhann-Lorenz (München) eine
Laser-assistierte Blepharoplastik und N. Cerkes (Istanbul) eine Septo-Rhinoplastik. Ergänzend erfolgte in einem dritten Operationssaal ein freier Wrap-Around-Zehentransfer zur Rekonstruktion einer Ringavulsion der Hand durch Zun-Li Shen (Shanghai). Im Anschluß an die jeweiligenOperationen fand in Kooperation mit dem anatomischen Institut der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen erstmals ein Dissektions- und Präparationskurs statt.
Unter Anleitung der kursleitenden Operateure wurden die Operationen des Vormittages an Kadavern in Kleingrupppen praktiziert, Fragen, Tipps und Tricks erläutert und diskutiert. Dieses Konzept wurde durch die Kursteilnehmer und Dozenten hervorragend angenommen und wird für die kommenden Jahreskongresse wärmstens empfohlen.

„State of the Art Lectures“ leiteten alle wissenschaftlichen Sitzungen ein
Bereits der Begrüßungsabend im alten Kurhaus führte eine ungewohnt hohe Anzahl von Teilnehmern zusammen. In lockerer Atmosphäre wurde der Kongreß durch ein „Get together“ von Freunden, ehemaligen, aktuellen und zukünftigen Kolleginnen und Kollegen eingeleitet. Der Kongreß wurde offiziell mit der Begrüßung der Teilnehmer durch die beiden Tagungspräsidenten, der Präsidentin der DGPRÄC, Marita Eisenmann-Klein, dem Präsidenten der VDÄPC, A.-M. Feller und den Grußworten des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, H.-U. Steinau, eröffnet. Der Eröffnungsvortrag von M. Kerner (Historisches Institut der RWTH Aachen) „Karl der Große und Aachen – von der geschichtsmäßigen Tradition einer Stadt“ setzte sich ausführlich und aus einer anderen Perspektive mit dem Tagungsort auseinander und fand großes Interesse bei den Gästen.
Erstmalig wurden alle wissenschaftlichen Sitzungen mit „State of the Art Lectures“ eingeleitet. Durch diese Form der Einleitung in eine Sitzung wurden aktuelle Fragestellungen, Leitlinien und neuere Therapiekonzepte durch renommierte Experten innerhalb von 15 Minuten dargestellt und diskutiert; dieses Konzept wurde von allen Teilnehmern und Dozenten sehr positiv angenommen.
Neben nationalen Experten waren zahlreiche hochkarätige Referenten aus dem Ausland wie beispielsweise B. Hontanilla (Pamplona), M. Frey (Wien), L. Nanhekan (Maastricht), G. Di Benedetto (Ancona), P. Kompatscher (Feldkirch), Zun-Li Shen (Shanghai), R. Mazzola (Mailand) vertreten.
Forschung, Wissenschaft und Innovation nehmen in unserem Fachgebiet einen immer breiteren Raum ein –
daher fanden in Aachen fünf experimentelle Foren zu den aktuellen Ergebnissen aus Grundlagen- und klinischer Forschung u.a. zu den Themen Angiogenese, Verbrennung, Wundheilung und Tissue Engineering statt. Es wurde die bisher größte Anzahl von experimentellen Themen auf einer gemeinsamen Jahrestagung der DGPRÄC und VDÄPC vorgestellt und diskutiert. Dies zeigt, daß in unseren Fachgesellschaften akademisches Denken, Innovationscharakter und Pioniergeist hoch gewertet werden. Eine Anzahl von 100 Postern wurde in diesem Jahr angenommen, diese wurden nicht im Rahmen der üblichen Posterbegehungen sondern als kurz gefasste Posterpräsentationen vorgestellt und diskutiert. Dadurch erhielten vor allem junge Akademiker und Doktoranden eine Chance, die ersten Schritte in der Forschung und Wissenschaft am Podium zu gehen.

Junge Kollegen nutzten die Akademie-Kurse für die jeweiligen Säulen zum Erfahrungsaustausch mit Experten
Die klinischen Themenbereiche, aufgegliedert in die vier Säulen: Verbrennungschirurgie, Handchirurgie, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie wurden in Parallelsitzungen verteilt. So konnten die Teilnehmer ihr individuelles Programm nach eigenen Wünschen und Schwerpunkten gestalten. Zusätzlich fanden außerhalb des Tagungsprogramms Akademie-Kurse für die jeweiligen Säulen als Instruktionskurse in kleinen Gruppen statt. Damit wurde die Idee der Jahrestagung des letzten Jahres aufgegriffen und weiterentwickelt. Gerade junge Mitglieder unserer Vereinigungen nutzten diese Kurse mit Workshop-Charakter zum Austausch ihrer Erfahrungen mit den Fachexperten. Ergänzend zeigte eine Roundtable-Sitzung zum Thema „Facelift“, moderiert durch M. Noah (Kassel), mit Helga Eder (Sta Brigida, Spanien), G. Lemperle (La Jolla, Kalifornien), W. Mühlbauer (München), R. Unterthiner (Santa Barbara, Kalifornien) und B. Cornette de Saint-Cyr (Paris) interessante und teilweise grundlegend kontroverse Ansätze zu diesem Thema. Neben der Vorstellung der eigenen operativen Strategien hatte die offene Auseinandersetzung mit möglichen Gefahren und Komplikationen nach Facelift-Eingriffen einen hohen Lehrcharakter.
Im öffentlichen Forum, moderiert durch Markus Lanz (RTL), stellten sich Ulla Schmidt, J.-D. Hoppe, Marita Eisenmann-Klein, H.-U. Steinau, Constance Neuhann-Lorenz und A.-M. Feller der Frage „Der Mensch im technologischen Wandel der Medizin – wie viel Anspruch auf Schönheit hat der Mensch?. Der als Ethikexperte und
Fachbeirat zahlreicher medizinischer Gremien renommierte G. Maio (Freiburg) stellte in seinem Einführungsvortrag „Ethische Grenzen der kosmetischen Chirurgie“ kritische Thesen zum Umgang mit der ästhetischen und plastischen Chirurgie zur Diskussion. Die Anwesenheit der Präsidenten beider Fachgesellschaften, des Präsidenten der Bundesärztekammer und der Bundesministerin für Gesundheit verliehen der Diskussionsrunde ein fachlich hohes, aber auch publikumswirksames Niveau.

Die Abschlußveranstaltung setzte mit dem Festvortrag der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein politisches Signal
Die Zusammenstellung ausgewählter Beiträge zu einem Forum für Ausbildung, Berufspolitik und Finanzen – eingeleitet durch eine State of the Art Lecture der Präsidentin der DGPRÄC mit dem Titel „Plastische und Ästhetische Chirurgie – National und International im Wandel“ – wurde zu lebhaften Diskussionen zum Stand und der möglichen Entwicklung unserer Faches genutzt. Die Verleihung der diesjährigen Dieffenbach-Medaille an Alfred Berger setzte zusätzlich zu der Anerkennung für sein Lebenswerk ein Zeichen der Hochachtung für einen unermüdlichen Kämpfer für die Stärkung unserer Fachgesellschaften in nationalen und internationalen Gremien. Die Laudatio hielt der renommierte Neurochirurg Madjid Samii aus Hannover und trug sie emotional bewegend für seinen langjährigen Freund vor. Der Geehrte zeigte mit seiner Dieffenbach-Vorlesung „Mikrochirurgie: Ein Meilenstein in der Geschichte der plastischen Chirurgie“ die Entwicklung und den aktuellen Stand dieser für unser Fach essentiellen und bahnbrechenden chirurgischen Innovation auf.
Der Festabend fand im Theater zu Aachen statt: Höhepunkt des Abends war der Gastvortrag von Rudi Unterthiner „Facelift, souls and painted crows“, der einen stimmungsvollen Festabend mit Büffet und Tanz einleitete. Die Abschlußveranstaltung setzte mit dem Festvortrag der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ursula von der Leyen, „Kinderpause – das Aus für die Karriere einer Chirurgin?“ bewußt ein politisches Signal und motivierte unter Beifall vor allem junge Akademikerinnen und Chirurginnen zum Glauben an einer Vereinbarkeit von Karriere und Familiengründung. Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Hartwig Bauer (Berlin), stellte in seinem Gastvortrag „Die Rolle der plastischen Chirurgen in der Großfamilie der Chirurgen“ berufspolitische Aussichten vor und erörterte drohende Gefahren unserer Fachdisziplin. Die Präsidentin der DGPRÄC beendete die Veranstaltung mit den Preisverleihungen. Der Vortragspreis wurde dieses Jahr an M. Keck (Birkenwerder) für ihren Vortrag „Einfluß der gängigen Lokalanästhetika auf Präadipozyten im Rahmen der autologen Fettgewebstransplantation“ und an M. Föhn (Freiburg) für seinen Beitrag „Vollhautersatz durch Kultivierung von humanen Keratinozyten und Fibroblasten in einer Kollagen-Elastin-Matrix (MatriDerm®) – In-vitro- und Invivo-Untersuchung“ vergeben. Die beste Posterpräsentation wurde von H. Schubert (Innsbruck) zum Thema „Bipolare Anastomosierungstrechnik (BAT)“ vorgestellt. Den Wissenschaftspreis erhielt H. Vink (Maastricht) für seinen Beitrag „Protection of the vascular system by the endothelial cell glycocalix: effects of ischemia/reperfusion“. Das Reisestipendium der Firma Polytech Silimed Deutschland GmbH wurde an G. A. Giessler (Ludwigshafen) vergeben. Abschließend erfolgte die traditionelle Übergabe des Langenbeck-Hakens an J. Bruck, den Tagungspräsidenten des Jahreskongresses 2007 in Berlin.
Insgesamt konnte die gelungene Veranstaltung fachlich, politisch und berufspolitisch deutliche Akzente setzen. Die vier Säulen der Plastischen Chirurgie wurden getreu dem Tagungsmotto auf hohem didaktischem und fachlichem Niveau abgebildet, eine weitere für alle Teilbereiche essentielle fünfte Säule der Forschung, Wissenschaft und Innovation eingeführt.

Quelle: „Plastische Chirurgie“, Heft 4, Dezember 2006
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